“Wenn Du nicht bis an Deine Grenzen gehst, findest Du auch nicht heraus, wo sie sind” – so ähnlich kommentierte Tom vor einer Weile, als ich mir auf der Matte zu viel zugemutet hatte. Das hört man gern, schwingt doch eine abenteuerlich-heroische Komponenten mit – “an seine Grenzen gehen”, das ist kurz vor “where no man’s gone before”.
In letzter Zeit suche ich ausserhalb des Dojo, beim Inline Skaten, Skilaufen, Schwimmen, Klettern, Fahrradfahren, Laufen, Kickern. Und stelle fest: Das Abenteuerlich-Heroische kann sich schnell verflüchtigen, wenn offenbar wird, wo die Grenzen tatsächlich liegen. Insbesondere, wenn anderer Leute Grenzen ganz woanders liegen – Du stellst fest: Hey, ich bin ja wirklich schlecht. Was für Dich ein Riesen-Schritt ist, wird bestenfalls belächelt oder als Präludium zu den echten Leistungen gesehen.
Beim Schwimmen ist es für mich schon eine Herausforderung, nicht in blinde Panik zu verfallen, wenn ich mich verschlucke. Mein erster Köpfer (im zarten Alter von 34 Jahren) war aufregender als alle Horrorfilme meines Lebens zusammengenommen. Sicherlich eine ehrenhafte Sache, diese Grenze zu finden und zu überwinden, aber geht es beim Schwimmen nicht um etwas ganz anderes? Geschwindigkeit, Ausdauer, optimaler, effizienter Krafteinsatz, Wasser “greifen”, Dreierzug, Tauchwende,…
Das gleiche ließe sich von allen anderen Sportarten erzählen: Man ist stolz, mit Toprope die 5er-Tour geklettert zu sein, und sieht dann einen Spiderman im Vorstieg an der Decke der Halle turnen. Mit Inline-Skates bergab fahren und dabei auf der Bremse stehen ist schon ein Nervenkitzel, hat aber wenig mit einem Salto in der Halfpipe zu tun. Langlauf-Ski sind schon echt glitschig und kriegen bergab ganz schön Fahrt drauf, aber Abfahrt über schwarze Pisten ist doch noch eine Nummer härter. Etc. etc.
Was mich reizt, sind die Dinge, die ich gar nicht kann, die ich noch nie selbst gemacht habe. Beim allerersten Versuch stellt sich eine alle Systeme erfassende Angst ein, der ganze Körper schreit “aber ich weiss doch gar nicht wie das geht” oder sogar “mach das bloss nicht, dabei kann man sich wehtun“, und dann machst Du es und es geht doch ein bisschen, und Du merkst, wo es nur der die Angst war, die Dich begrenzt, und beim nächsten Mal geht ein bisschen mehr. Und irgendwann ist dann der Punkt erreicht, wo Du merkst: jetzt läuft es, ab jetzt ist es nur noch Arbeit.
Und dann suche ich mir etwas Neues, denn es gibt so viele viel näher liegende Dinge, vor denen ich Angst habe.
Hinter der ersten hohen Schwelle kommen in jeder Richtung sicherlich noch viele weitere, anspruchsvollere Grenzen; und vielleicht zählt es im Vergleich mit anderen mehr, weiter gekommen zu sein, die Grenze noch höher gesteckt und erreicht zu haben; aber für das eigene Leben bringt es einfach mehr, eine Grenze anzugehen, die so naheliegt, dass man sie anderen gegenüber kaum zugeben möchte, vielleicht nicht einmal sich selbst gegenüber.
Das sind die Grenzen, hinter denen ganz neue Räume liegen. Keine menschenleeren “where no man’s gone before”-Räume, sondern im Gegenteil, Räume mit Menschen, für die das ganz normal ist, die vielleicht gar nicht mehr wissen, dass es da mal eine Schwelle zu überwinden gab.