Meister Koretoshi Maruyama ist einer der wenigen noch lebenden direkten Schüler von O Sensei. Maruyama hat nach seiner Zeit im Aikikai lange bei Tohei gelernt, der sehr viel Wert auf Ki legt, und sich danach verstärkt dem Heilen und der Meditation gewidmet. Letztes Wochenende war er in Hamburg.
Maruyama ist ein unheimlich netter, geradzu charmanter Mensch, macht auch mal Quatsch, flirtet mit seinem Uke, hat ein sehr offenes Lächeln. Die Techniken lässt er meist nur sehr kurz üben, gerade so, dass jeder es einmal gemacht hat – dafür zeigt und erklärt er sehr viel, auch viel verschiedenes, benutzt ein Flipchart, zeigt Fotos, redet und zeigt Bewegungen. Meine Deutung: Wenn der Meister nur einmal im Jahr aus Tokyo eingeflogen kommt, muss er halt das komplette Programm innerhalb von zwei Tagen zeigen. Üben kann man dann die anderen 363 Tage des Jahres. (anders bei Asai, den wir einerseits als lebendiges Beispiel regelmäßig sehen, bei dem man andererseits mehr “mit den Augen klauen” muss)
Es geht viel um Dehnung/Streckung und Offenheit, und um die Verteilung von Ki, der Aufmerksamkeits-Energie, die jeder Bewegung vorweggeht. Beides hängt natürlich zusammen – sein Ki ausstrecken kann man nur, wenn man sich nicht selbst blockiert.
“Don’t look, just see” – oder “just sea” ? Wenn man auf den Ozean schaut, hat man einen sehr weiten Horizont in alle Richtungen. Das Ki breitet sich in alle Richtungen aus. Wenn ein Schiff kommt, und man zoomt/fokussiert die Aufmerksamkeit darauf, dann geht die Rundum-Aufmerksamkeit verloren. Erster Schritt: Augen im Hinterkopf: “Nach links gucken” (mit den Augen im Hinterkopf) => den Kopf nach rechts drehen. Diese Übung schafft Bewusstsein dafür, wohin der Hinterkopf schaut (man kriegt ein eigenartiges Gefühl in der Muskulator im Nacken und unter der Kopfhaut). Nächster Schritt: Mit den Augen im Hinterkopf nach vorn fokussieren – die Aufmerksamkeit bleibt dennoch in alle Richtungen. Ein paar Ki-Tests: Stabilität durch Schieben an der Schulter prüfen, Schieben hinten gegen das Zentrum, unbeugbarer Arm (“unbendable arm”) – wenn das Ki aufrechterhalten wird, steht man sicher.
Wenn man ein Buch liest und nur die Augen darauf richtet, aber nicht das Ki, dann versteht man nichts. Wenn man hingegen vollkommen davon absorbiert wird, merkt man nicht, wenn jemand hinter einen tritt, weil das Ki auf den kleinen Ausschnitt vor einem fokussiert ist (jeder Computer-Arbeiter kennt dieses Phänomen zur Genüge). Maruyama meint, selbst beim Lesen kann (sollte?) man versuchen, mit der Aufmerksamkeit rundum im Hier und Jetzt zu bleiben (den Überblick, den Bezug zur Realität zu wahren?).
Maruyama sagt, man solle immer daran denken, welche Muskeln gestreckt (gedehnt) werden, nicht welche zusammengezogen werden. Z.B. wenn man sich beim Rollen rund macht, den Rücken strecken und wenn man beim Aufstehen wieder gerade wird den Brustkorb dehnen. (Also auch und gerade dann, wenn man viel Kraft einsetzt, entspannen und dehnen!)
Aufwärmübung: Handflächen zusammen, heruntertauchen und in einer Kreis nach vorn wieder hochkommen. Dabei darauf achten, wie beim Heruntergehen der Rücken und die Rückseite der Beine gestreckt werden und beim Hochkommen Unterschenkel, Oberschenkel, Bauch. Die Übung gibt’s auch umgekehrt, auch mit liegendem Kreis (links raus – rechts wieder rein, dehnt die Schulterblätter) etc. Dadurch, dass auch die großen Muskeln in Rücken und Oberschenkel arbeiten, wird man schön warm – eine erhöhte Körpertemparatur soll sehr gesund sein.
Stärke und Kraft sehen wir normalerweise nur in der äußeren Muskulatur (Bizeps, Trizeps, großer Brustmuskel, Oberschenkel etc.). Diese Muskeln lassen im Alter unweigerlich nach – spätestens wenn man 70 ist (so wie Maruyama!) muss die Kraft aus den inneren Muskelschichten kommen, die entwickeln sich auch im Alter noch weiter, und sind für die Haltung sehr wichtig, auch wenn sie keine so großen Bewegungen machen. Z.B. die Verbindung zwischen unterem Rücken und Oberschenkel, und in der Schulter und an den Schulterblättern.
Nikkyo: den eigenen Rücken strecken, die inneren Muskeln der Schulter benutzen. Ich versuche das umzusetzen und habe das Gefühl, das Ki läuft in einer Welle vom hinteren unteren Rücken bis über die eigene Schulter in den Partner, und die Technik wirkt ohne Zwang. Erstaunlich.
Irimi Nage, wenn man hinter dem Partner steht: den ausgestreckten Arm des Partners nicht wegschlagen, dann bliebe er hart. Vorstellung: Ein Gewicht fällt aus dem Himmel, der eigene Arm liegt/fällt mit dem ganzen Gewicht auf den Arm des Partners (Handflächen oben) und zieht ihn um. Ähnlich bei der Hand im Nacken: nicht in den Nacken schlagen, dann wird der Partner hart und steif, sondern sanft sein und führen – z.B. am Kopf, oberhalb der Ohren. Maruyama zeigt, wie man mit einer ähnliche Bewegung alten oder schwachen Menschen beim Aufstehen helfen kann.
Zum Abschluss das aus meiner Sicht schönste Bild dieses Lehrgangs: Wenn ein Wind von der einen Seite kommt und einer von der anderen, dann knallen sie nicht so aufeinander wie zwei Fäuste, sondern sie drehen sich umeinander und bilden einen Sturm. (Kann man Aikido besser beschreiben?)
Insgesamt ein Lehrgang voller Anregungen, und zum Nachvollziehen zu Hause gibt’s noch eine DVD.