Ken Morinaga ist vollberuflicher Aikido-Meister und dazu noch Original Japaner(tm) – Grund genug, mal einen Lehrgang bei ihm zu besuchen. Sein Aikido hat er bei Yamaguchi und Takeda gelernt, dazu kommt noch Taiji. Ich war also darauf vorbereitet, mal eine andere Perspektive einzunehmen als beim Aikikai/Asai-Stil.
Ken hatte einige hübsche Metaphern und Vergleiche im Gepäck. Grundlegend: “Viele verwechseln weich mit schwach, und stark mit starr”. Das bringt’s so dermaßen gut auf den Punkt – typische Abfolge: man versucht, die Technik weich auszuführen, macht sie stattdessen schwach, dann klappt sie nicht, man denkt sich “dann aber jetzt richtig” und macht sie starr und verkrampft, was dann auch nicht klappt (oder nur unter Schmerzen). Weich und Stark, wie cool, wie diese Kung Fu-Weisheit “sei wie das Wasser, das den Felsen aushöhlt”.
Ganz praktisches Beispiel: Beide Arme werden gepackt. Statt abzublocken nimmt man den Angriff auf, aber lässt auch nicht alles mit sich machen. Denn wenn man sich die Arme zu weit nach hinten führen lässt, gerät man in eine sehr ungünstige Position (z.B. Arme auf dem Rücken). Man muss schon vorher irgendwie tätig geworden sein: wegdrehen, hochführen, den anderen seitlich kippen, etc.
Umgekehrt ein Beispiel zum Thema stark/starr beim Festhalten: Nicht die ganze Zeit mit voller Kraft festhalten, das kann man nicht mehr steigern; stattdessen fest genug, dass man spürt, was der andere macht, und im letzten Augenblick dann richtig fest, so ein Griff ist sehr schwer zu lösen.
Bei den Aufwärm/Atemübungen streichen wir oft die Arme aus (mit der anderen Hand von oben bis zu den Fingerspitzen). Ken hatte dafür eine interessante Deutung: Man kann es als Erinnerung verstehen, die Arme nicht zu blockieren, sondern die Energie frei nach aussen fliessen zu lassen. Und tatsächlich: man kann spüren, wie die Muskeln sich mit der Bewegung entspannen. “Eine Möglichkeit”. Eine weitere spätere Deutung: Mit derselben lockeren Bewegung kann man auch einen Griff abstreifen. Wenn der andere nicht spürt, wann der Griff gelöst wird, verpasst er den “letzten Augenblick” zum Festhalten.
Für mich ungewohnt war, dass Ken viel vom “Ziehen” sprach (alternativ “Saugen”) – Asai schickt immer nur nach aussen. Das scheint mit Kens Taiji-Bildung zu tun zu haben – im Taiji trainiert man nicht nur den äußeren, sondern auch den inneren Kreis, d.h. wie man Energie aufnimmt, komprimiert, speichert, ohne sich dabei zu verkrampfen.
Das mechanische Bild dazu war das Gummiband (beim Ziehen) und die Feder (beim Schieben). Ok, also geschmeidig bleiben. Mechanische Bilder finde ich immer etwas trostlos, weil sie mir wenig darüber sagen, wie es sich anfühlt – was weiss ich denn, wie es einer Stahlfeder so geht.
Mysteriös und spannend waren die Schiebe-Übungen – ein wenig wie das aus anderen Kampfkunstarten bekannte Push Hands. Theorie dazu: “wenn der andere stark entgegengeht, nachlassen, so dass er ein Loch spürt, in das er unfreiwillig hineinrutscht, daher zuckt er wieder leicht zurück, darin wieder mitgehen” => Netto Raumgewinn. Dass das funktioniert, erfordert natürlich jede Menge Erfahrung und Geschicklichkeit: man tausche einfach mal die Rollen in der Beschreibung, dann wird das “Nachlassen” zum “Zurückzucken” und es gibt stattdessen einen Netto Raumverlust.
Der Aspekt des Kontakts ist für diese Schiebe- und Gleichgewichtsübungen offenbar zentral. Erklärung dazu: “Eins werden (Ai+Ki), wie Zahnräder, die ineinander greifen – wenn eins sich bewegt, muss das andere sich mitbewegen”. Insbesondere bei Kokyo Nage kann man erst werfen, wenn Kontakt da ist.
Bei einer Übung nimmt man den auf sich zustürmenden Partner auf und führt ihn kurz vor der Kollision hoch – und der Partner fliegt. Über den Kontakt entsteht eine unwillkürliche Komplizenschaft, die Energie läuft zusammen, und das Ergebnis lässst sich physikalisch kaum noch erklären. In Aikido-Sprech: “Das Ki wird hochgeführt”.
Ein schönes Bild hatte Ken auch dafür, wie man eigentlich wirft. Bei Asai heisst es einfach “werfen Sie bis ganz hinten, an die Wand” – auch wenn es physikalisch offenbar unmöglich ist, den Körper bis dahin zu werfen, soll die Bewegung doch weiterführen und nicht vorher schon aufgeben. Ken vergleicht das mit einer Flasche, in der eine Flüssigkeit ist – man bringt die Flasche in Schwung, stoppt sie dann an, und die enthaltene Flüssigkeit schwappt weiter in die Richtung. Anderes Bild: Ein Bus mit Fahrgästen drin bremst, und die Fahrgäste taumeln noch ein paar Schritte in der Fahrtrichtung weiter.
Ken erklärte (wie wir es von Asai kennen) ein paar Techniken durch das Schwert: man denkt sich bei der Bewegung ein Schwert, dessen Schwertspitze man bewegt. Dadurch wird Bewusstsein geschaffen für die Drehachsen, die Gleichmäßigkeit der Bewegung, und für den Schwerpunkt, und man verbeisst sich nicht in die Stelle, an der der Partner einen gefasst hat.
Technisch und uninteressant fand ich den Monolog darüber, dass der Uke nicht (wie “andere Schulen” sagen) unbedingt mit einer bestimmten Seite angreifen müsse, wenn Tore mit einer bestimmten Seite vorn steht. Wir lernen noch, und das ist eine Konvention, die uns beim Üben hilft, OK?
Zum Abschluss noch eine wunderschöne Beschreibung für eine an sich bekannte Atemübung: Die Arme gehen zusammen in der Mitte hoch und dann im großen Kreis aussen wieder nach unten. “Wie ein Feuerwerk”.